Arika

40 Jahre durch die Wüste oder der Weg zu neuem Leben mit Lipödem

Als der liebe Gott an die artigen Mädchen schöne Beine verteilt hat, war ich nicht da. Deshalb hatte ich meine „Sonderposten“ bekommen. Es ist nicht so, dass ich unartig war. Ich war einfach nicht da…. Genau wie meine Großmutter und meine Mutter. Ihr habt schon richtig verstanden. Ich bin Lipödem-Frau in der dritten Generation. Ich bin 50 Jahre alt. Geschätzt seit meinem zehnten Lebensjahr hatte ich übermäßig dicke Beine.

Diagnostiziert wurde damals nichts außer Übergewicht, das sich meistens auf die Beine konzentriert hat. Behandelt wurde ich auch nicht. Ich erinnere mich an meine Großmutter und Mutter, die sich ständig über die schmerzenden und geschwollenen Beine beschwert haben. Mutter konnte schon in jungen Jahren keine normalen Schuhe tragen, sondern nur die komischen Latschen. Hauptsache- bequem. Sie konnte mit mir nicht toben und spielen, wie die anderen Mütter. Und ich dachte, dass sie mich nicht lieb hat…

Heute verstehe ich das, weil ich selbst das Gleiche erleben musste. Meine Beine sind wesentlich dicker geworden als die Beine meiner Vorfahren. Der Unterkörper war ca. 8 bis 10 Größen mehr als der Oberkörper.

Diäten, unzählige Diäten… Sport bis zum Umfallen. Ungelogen 1000 Wiederholungen für die Beine pro Training an den Geräten und dazu noch eine Stunde Crosstrainer oder Fahrrad oder beides. Ich hatte ca. 16 Stunden in der Woche trainiert. Die Beine wurden und wurden nicht schlanker. Ich konnte auf der Seite nicht schlafen. Wegen der massiven „Reiterhosen“. Morgens wachte ich mit tierischen Rückenschmerzen auf. Sie haben mich fein brav auf den Tag verteil begleitet. Später hat Fr. Prof. Földi. gesagt, dass ich eine Fehlbelastung der Wirbelsäule habe. Mit dem Ergebnis, dass ich einen sehr großen Bandscheibenvorfall bekam. Die Schmerzen waren nicht mehr auszuhalten. Ich wurde per Notaufnahme ins Krankenhaus aufgenommen und operiert an der Lendenwirbelsäule.

Ich hatte immer schon das Thema „Beine“ bei Ärzten verschiedener Fachrichtungen angesprochen. Niemand konnte mir helfen. Jeder hat gefragt wie viel ich wiege und ich möge bitte mehr Sport treiben und mich gesund ernähren. Sehr „hilfreich“…Trotz meiner Bemühungen über viele Jahre, wurde ich immer unbeweglicher. Ich hatte befürchtet, meine Mobilität zu verlieren.

Es war so weit, dass ich in einem herkömmlichen Stuhl mit Armlehnen nicht mehr sitzen konnte. Es hieße- kein Café, Kino, Theater- Besuch. Flugzeug- keine Chance. Ich passte in den Sessel nicht rein. Meine Eltern sind 2,5 Tausend km entfernt von meinem Wohnort beerdigt. Ich konnte nicht zum Grab, weil ich nicht fliegen konnte.

Meine Nerven waren am Ende. Ich hatte keinen Tag ohne Tränen und Schmerzen erleben können. Ein Arzt hat mir schon meine Zukunft im Rollstuhl vorgestellt. Damit wollte und konnte ich nicht leben. Nicht mit mir!!!!!! Ich hatte mich entschieden, mich operieren zu lassen.

Bin im Internet fündig geworden. Die Symptome vom Lipödem haben mit meinen Beschwerden überein gestimmt. Mit dem Ausdruck aus dem Internet bin ich zum Hausarzt gegangen, ihm das vorgelegt und gefragt: „Bin ich das? Oder bin ich das?“ Ich war die erste seiner Patientinnen, die sich selber die richtige Diagnose gestellt hat. So hat er es zumindest gesagt. Und hat seine Unterstützung zugesichert. Dafür bin ihm sehr dankbar. Ab dem Tag hat meine zweite Marathon- Etappe begonnen.

Die plastischen Chirurgen hatten große Augen (manchmal mit Dollarzeichen). Deren Aussagen waren sehr unterschiedlich. Z.B. „Wenn ich Sie operiere, brauchen sie keine Kompression mehr zu tragen und sind endgültig geheilt“. Oder „Wir operieren erst ein Bein. Wenn es gut geht, nach 3 Monaten, das zweite Bein“. Manche Chirurgen (sogar mit Prof.-Titel) haben meine Beine gar nicht angesehen. Schön, waren die Beinchen ja wirklich nicht… Die Beratung war sehr kurz. Die Rechnung sehr saftig. Ob die Beine überhaupt operabel sind, war nicht so ganz wichtig.

Eines Tages sprach mich meine Nachbarin an. Sie sagte, dass ihre Arbeitskollegin mir ähnlich aussah und hatte sich in einer Fachklinik für Lymphologie (Földi Klinik)im Schwarzwald und bei einem Chirurgen Dr. Felmerer behandeln lassen. Ich habe im Netz recherchiert und bin schnell fündig geworden. Mein Mann und ich haben uns auf den Weg nach Göttingen gemacht. Dr. Felmerer war der einzige Arzt, der keine Dollarzeichen in den Augen hatte. Er hat den ganzen Körper angesehen/untersucht und bestätigt, dass durch Sport und Ernährung die Beine nicht schlank sein können. Am Torso könnte man deutlich die Rippen sehen und die Beine waren voll im Fett. Dr. Felmerer hat mir seine Unterstützung versprochen. Zu diesem Arzt hatte ich sofort Vertrauen gewonnen. Er ist ein sehr guter Chirurg und Lymphologe. Seine Zusammenarbeit mit der Fachklinik für Lympologie (Földi Klinik) war mir sehr wichtig.

Antrag bei meiner KK habe ich gestellt. Ebenso den Reha -Antrag mit der Angabe der Wunschklinik für Lymphologie im Schwarzwald. Der Hausarzt hielt sein Versprechen, hatte mich dabei unterstützt. Und nun am 13. Januar 2013 bin ich zum ersten Mal im Schwarzwald in dieser Fachklinik gelandet. Natürlich wusste ich, dass es dort keinen Zauberer gibt, der mir schlanke Beine macht. Kaum hatte ich die Dame an der Rezeption begrüßt, schickte sie mich schon zum Arzt. Nach dem ich 7 Stunden im Zug verbracht hatte, wünschte ich mir eine Dusche…. aber nein, der Doktor wartete schon auf mich. Meine erste Gedanke war: „ Wo bin ich hier gelandet ?… Hat das nicht Zeit bis morgen?“ Ich konnte meine Gedanken noch nicht richtig zuordnen… Der Pfleger brachte mich schon zum Dr. Oberlin. In dem Moment wünschte ich mir, das schnellstmöglich hinter mich zu bringen. Ich wusste noch nicht, dass dieser Arzt so eine große Rolle in meiner „Geschichte“ spielen würde. Er hat sich für die Untersuchung wirklich viel Zeit genommen. „Wenn ich ihre Beine angucke, verstehe ich Ihren Leidensdruck „ sagte der Dr. Oberlin. Mir kamen die Tränen.

Seit 40 Jahren war ich auf der Suche nach einem Arzt, der davon eine Ahnung hat. Der mich versteht. Mir war klar, dass ich hier, in der Klinik richtig bin. Die Notwendigkeit der Operation hat Dr. Oberlin bestätigt. Frau Prof. Földi bei der Chefarzt-Visite war der gleichen Meinung. Sie hat mich zum persönlichen Gespräch eingeladen, in dem sie die medizinische Notwendigkeit der Op. betonte. Das war mir besonders wichtig.

Die Reha war für mich ein Segen. Ich hatte erstmals 10 cm von 150 cm Hüftumfang verloren, ca. 5l aus den Beinen sind raugekommen. Es war eine große Erleichterung. Nichts desto trotz, das Problem war immer noch extrem. Meine Krankenkasse meinte, dass bei mir keine medizinische Notwendigkeit zur Operation besteht. MDK meinte, obwohl die konservativen Maßnahmen die Fettgewebe nicht reduzieren können, muss ich noch öfter zu MLD. Die Liposuktion war nach Ermessen der MDK erst mal nicht medizinisch notwendig. Die Aussagen des MDK und der Fachklinik waren völlig unterschiedlich. Das Schreiben mit der Ablehnung vom KK kam während meines Aufenthaltes in der Fachklinik. Mein behandelnder Arzt hat mir in der Phase sehr geholfen. Die Unterstützung war enorm. Das werde ich mein Leben lang nie vergessen. Ich hatte nie in meiner 40 jährigen Lipödem-Karriere so viel Unterstützung und Verständnis bekommen, wie in dieser Klinik! Vielen Dank dafür!!!!

Mit der Kraft und Energie vom Schwarzwald und dem Entlassungsbericht der Rehaklinik, war ich am nächsten Tag nach der Entlassung bei der KK und habe dort meine Meinung kundgetan. Mein Versuch die Beine „live“ zu zeigen, haben die Mitarbeiter der KK gerade verhindert. Ich habe auch gedroht, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen, mit dem Plakat „Meine Krankenkasse verweigert mir die Behandlung“. Habe vorgeschlagen, mir einen kompetenteren Ansprechpartner als die Fachklinik für Lymphologie zu nennen, der mir konservativ helfen kann. Schließlich hat die KK die Beratungspflicht und Fürsorgepflicht. Über meinen Auftritt wurden alle anwesenden sehr überrascht und wenig begeistert.

Ich wurde nach Hause geschickt mit dem Versprechen, dass sie sich darum kümmern. In zwei Stunden wurde ich zu Hause angerufen und aufgefordert einen neuen Antrag zu stellen mit der Angabe, dass ich mich stationär behandeln lasse. Ich wusste gar nicht, dass die Uniklinik solche Eingriffe ambulant macht. Natürlich nicht.

Papier ist geduldig…. Ich habe es gemacht. Und in zwei Wochen bekam ich den Anruf, dass meine Genehmigung auf dem Postweg ist und ich kann mir schon einen OP - Termin geben lassen. So begann meine dritte Marathon-Etappe. 5 Operationen einschließlich der Hautstraffung. Dr. Felmerer. hat sein Bestes gegeben. Bin der Meinung, für mich den besten Chirurgen ausgesucht zu haben. Vielen Dank, Herr Dr. Felmerer. für ihre goldene Hände und hohe Kompetenz, die Sie für diese Operationen investiert haben! Nach der letzten Operation- Liposuktion mit der anschließenden Hautstraffung, bin ich in eine Klinik in Rheine (Klinikum Rheine) gekommen.. Die Nachbehandlung in die Station Lymphologie war sehr gut. Dort wurde ich postoperativ entstaut. Das Wickeln hat Wunder bewirkt. Kompetente Ärzte, gute Pflege, freundliches Personal! Auch an die Lymphologie-Station meinen herzlichen Dank!

Auch während dieser Phase von 3 Jahren hat mich die Fachklinik im Schwarzwald, mein behandelnder Arzt Herr Dr. Oberlin begleitet. Die hohe ärztliche Kompetenz und sein großes Herz haben mich vor vielen Fehlern bewahrt und mir geholfen die Zeit der Operationen zu überstehen. Nach dem die Wunden verheilt waren, begann die vierte Marathon- Runde. Sie wird mich mein Leben lang begleiten:Das Leben genießen und dabei nicht vergessen:

Gewicht halten & Sport + Bewegung & Kompression tragen

Einfach ist das nicht. Operation ist kein Spaziergang und kein Patentrezept. Es ist tägliche Arbeit, um den Operationserfolg erhalten zu können. Aber es ist möglich. Disziplin ist wichtig. Das Thema „Beine“ ist für mich immer noch präsent. Ich hoffe, irgendwann mal die Vergangenheit ruhen zu lassen. Nicht mehr ständig daran denken zu müssen. Nun ist es 17 Monate Post -operativ. Ich genieße immer noch die Momente, die für die anderen Frauen zum Alltag gehören, die im täglichen Leben unbeachtet sind. Für mich ist ein schönes Kleid anziehen zu können etwas besonderes. Oder zum Beispiel mit meiner kleinen Enkelin auf dem Spielplatz zu schaukeln (früher hätte ich dort nie reingepasst). In solchen Momenten denke ich an meine Ärzte, Therapeuten der Fachklinik, meine Therapeuten vor Ort, an das Sanitätshaus in Rheine, an die Lymphberaterin Fr. Scheipers, das mich mit den tollen Strümpfen versorgt hat.

Operieren oder nicht operieren…. muss jede Frau für sich entscheiden. Es ist ein Eingriff und kein Spaziergang. Der Chirurg kann operieren, erhalten muss man selber. Für mich gab es keine andere Wahl. Die Gefahren waren mir bekannt und durchaus bewusst. Den Ärzten, die man aussucht, muss man vertrauen. Sonst macht es keinen Sinn. Ich weiß nicht ob ich den Operationserfolg mein Leben lang halten kann. Ich will es und ich tue alles, was mir möglich ist.
Noch etwas sehr Wichtiges! Die Familie, der Partner muss ebenso dazu stehen. Ich hatte Glück. Mein Mann ist diesen Weg mitgegangen und hat alle Sorgen mitgetragen. Dafür danke ich ihm vom Herzen! Ohne ihn wäre mein neues Leben immer noch ein Traum!

Ein Nachtrag 05/19 eine Kurzfassung “Meine Geschichte”

Ich möchte heute ein paar Sätze sagen. Januar 2013 bin ich zum ersten Mal in die Földiklinik gekommen. Ich hatte 40 Jahre Leidensweg mit massiven Lipödem. Meine Mobilität wurde immer geringer. Die Beine waren schwer, so das ich kaum laufen konnte. Schmerzen im Beinen und Rücken. Rücken- Op hatte ich schon hinter mir. Földiklinik hat mir den richtigen Weg gezeigt und mich auf diesem Wege unterstütz und begleitet. 2013- 2016 hatte ich 5 OPs.

Ich konnte mich auf meine Ärzte verlassen. Und das nach 40 Jahren Wanderung durch die Wüste der Ungewissheit.... So ist es geworden. Ich weiß, dass viele Frauen beginnen dort, wo ich aufgehört habe. Ich bin trotzdem sehr zufrieden.

Mein Leben Nr. 2..... Danke, Földiland !!!! Danke Dr. Oberlin, Danke Dr. Arbitmann, Danke vom Herzen meinem Chirurgen Dr. Felmerer!!! Mein Weg ist nicht zu Ende. Dr. Martin hat mir ein mal gesagt: Diät leben, Bewegung, Strümpfe. Die Worte wiederhole ich jeden Morgen. Wie ein Gebet... Dr. Oberlin erklärte mir, wie wichtig ist, das Gewicht zu halten. Das ist das Gebet zu Mittag und Abendessen. So begleitet mich die Földiklinik durch das Leben vor und nach der Operationen.

Danke allen, die die Geduld hatten, meine Geschichte zu Ende zu lesen. Bild Quelle: arika

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