Jess Lipödem-Reise

Lipödem – Meine Geschichte

Mein Name ist Jess(ica), ich bin 37 Jahre alt und lebe im schönen Odenwald. Nach vielen Arztbesuchen habe ich 2015 die Diagnose Lipödem erhalten.
Daneben habe ich weitere Diagnosen, unter anderem seit 2023 diagnostizierte Endometriose.
In dieser Zeit habe ich einiges erlebt, um die 40 Kilo abgenommen und zuletzt einen kleinen Instagram-Blog ins Leben gerufen, um einen Beitrag zu mehr Sichtbarkeit und weniger Tabuisierung im Hinblick auf chronische Erkrankungen zu leisten.

Hier ist die Geschichte meiner Lipödem-Reise:

In meiner Kindheit und frühen Jugend war mein Körper das, was man als ‚Durchschnitt‘ bezeichnen würde. Ich war kein dünnes Kind, aber eben auch nicht übergewichtig. Dennoch war ich kräftiger als manche meiner Freundinnen als meine Schwester oder meine Mutter. Man hat das auf die väterliche Seite der Familie geschoben, da die Menschen dort insgesamt etwas kräftiger waren. Seit ich das bewusst wahrnehmen konnte, war ich verunsichert wegen meines Körpers, habe mich immer ‚zu dick‘ gefühlt und mich bei jedem Kleidungsstück rückversichert, ob ich das so anziehen kann. Wenn ich heute Bilder aus dieser Zeit betrachte, macht mich das sehr traurig, da diese Unsicherheit mehr als unnötig war.

Als ich dann älter wurde und die Pubertät so richtig Fahrt aufnahm, hat sich mein Körper verändert. Meine Beine wurden kräftiger und haben auch nicht mehr so richtig zu meinem Oberkörper gepasst. 
Nachdem ich dann noch mit 16 begonnen habe, die Pille zu nehmen, hat sich diese Optik noch weiter ausgeprägt. Schmerzen hatte ich zu dieser Zeit jedoch keine.

Mit Mitte 20 ging es mir psychisch sehr schlecht und mir wurden Antidepressiva verordnet. Neben diversen anderen Nebenwirkungen habe ich während dieser Zeit sehr viel Gewicht zugenommen. Die dann begonnene Therapie hat mir geholfen und ich konnte im Laufe der Zeit auch die Medikamente wieder absetzen. Die Kilos sind jedoch geblieben.

Nicht nur das, ich hatte neben einem deutlichen Übergewicht plötzlich auch starke Schmerzen in den Beinen und Armen, ständig blaue Flecken und eine deutliche Berührungsempfindlichkeit sowie Restles Legs. Im Sommer habe ich dann nur noch lange Hosen und, besonders in Anwesenheit von vielen Menschen, auch lange Ärmel getragen. Einerseits um die Optik, für die ich mich geschämt habe, zu verdecken und andererseits um einen kleinen Schutz gegen Berührungen zu haben, die beispielsweise in Menschenmassen von größeren Veranstaltungen, manchmal unvermeidbar sind.

Die Optik wurde zwar nach wie vor als Familienmerkmal abgetan, allerdings war mir selbst klar:

Fett tut nicht weh, irgendetwas stimmt nicht mit mir.

Und so begann ein kleiner Ärzte- und Diätmarathon. Mein damaliger Hausarzt hat mir zunächst geraten doch einfach 5 Kilo abzunehmen (was im Hinblick auf mein Übergewicht ein Witz gewesen wäre) und damit ‚gedroht‘ hat mir sonst „mal einen Kompressionstrumpf gegen das Wasser im Bein“ zu verschreiben. Auch an anderer Stelle wurde mir mitgeteilt, dass die Schmerzen nach einer Gewichtsreduktion besser werden würden. So habe ich dann diverse Abnehmversuche gestartet und immer mal wieder ein paar Kilos verloren und auch wieder zugenommen. Am Ende wurde ich jedoch weder viel Gewicht noch meine Schmerzen los und Resignation hat sich eingestellt. ‚Wenn ich nicht abnehme, kann ich auch weiteressen‘ ist in diesem Zusammenhang leider keine gute Einstellung.

Auf dem Gewichtshöchststand wurde mir dann endlich der Arzt empfohlen, der die Diagnose Lipödem gestellt hat und die konservative Therapie in die Wege geleitet hat.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich mich gefragt habe, welches Kind denn in ‚Gummihosen‘ passen soll, die ich damals im Sanitätshaus abgeholt habe. Und genau solche Hosen, keine Gummihosen, sondern flachgestrickte Kompressionshosen, wurden dann zu meinen ständigen Begleitern und haben mir wirklich das Leben – und die Beine – leichter gemacht. Zusätzlich konnte ich nach diesem Start auch einige Kilos (gesundes) Fett verlieren und meine Resignation ablegen.

Das Thema Liposuktion stand von Anfang an immer wieder im Raum, allerdings hat die Krankenkasse jegliche Kostenübernahme abgelehnt und auch alle Widersprüche meinerseits waren erfolglos. Es hat daher noch einige Jahre gedauert, bis ich mich dazu entschieden habe, die Liposuktionen in der Hautklinik Darmstadt in Angriff zu nehmen. Ich hatte wirklich großes Glück, dass meine Eltern eine OP komplett übernommen haben und mir die Kosten für 4 weitere Liposuktionen vorlegen konnten.

Also wurden 5 geplante Liposuktionen im Abstand von jeweils 6-8 Wochen durchgeführt, die alle definitiv kein Spaziergang waren. Während dieser Zeit wurde ich noch zusätzlich krank in einem anderen Zusammenhang und hatte deswegen weitere Krankenhausaufenthalte, Operationen und sehr starke Schmerzen. Trotzdem konnte ich die geplanten Liposuktionen durchziehen, was ich bis heute nicht bereut habe, da sie mir eine deutliche Erleichterung gebracht haben.

Diese Erleichterung war besonders hilfreich, da nach den Liposuktionen eine aus einigen anderen Gründen schwere Zeit für mich angebrochen ist und das Thema Lipödem dadurch in den Hintergrund gerückt ist.
Zusätzlich zu dieser herausfordernden Zeit hatte ich auch ein paar unschöne Situationen mit meiner damaligen Sanifee, die nicht nur das Ergebnis der Liposuktionen schlecht geredet, sondern auch ständig meinen Körper negativ kommentiert hat.
Mir hat dann einfach die Kraft gefehlt, mich um eine passende Kompressionsversorgung zu kümmern oder die Versorgung so regelmäßig zu tragen, wie man das eigentlich tun sollte.

Insgesamt habe ich es aber trotzdem auch über diesen Zeitraum geschafft regelmäßig zur Lymphdrainage zu gehen und mein Gewicht in einem akzeptablen Bereich zu halten, immerhin 20 Kilo unter dem einstigen Höchststand.
Dieser Stillstand hat ungefähr zwei Jahre gedauert und im Laufe dieser Zeit kamen noch weitere Beschwerden der damals noch nicht diagnostizierten Endometriose hinzu.

Kurz bevor die Endometriose dann per Operation diagnostiziert werden konnte, aber der Verdacht schon ausgesprochen war, habe ich es wieder geschafft, mich mehr um mich und meine Gesundheit zu kümmern und wieder mehr auf mich zu achten. Auch ein Sanitätshaus konnte ich dann wieder aufsuchen und mir wieder eine neue Kompressionsversorgung zulegen. Auch wenn ich nach all der Zeit gerne mal neue Wege hinsichtlich der Kompression gegangen wäre und mehr ausprobiert hätte, was dort leider nicht möglich war, war das schon ein wichtiger Schritt und ein guter Anfang.

Die dann folgende Operation wegen des Verdachts der Endometriose war um einiges umfangreicher als gedacht, da sehr viele Endometrioseherde gefunden wurden und entfernt werden mussten, sodass die Genesung danach auch entsprechend länger gedauert hat.

Trotzdem war das für mich der endgültige Anlass, noch genauer hinzusehen und mehr für mich zu tun. Im ersten Schritt ist die Beschäftigung mit antientzündlicher Ernährung, später dann die pflanzenbasierte Ernährung in den Fokus gerückt. Auch Bewegung, Freizeitaktivitäten und soziale Kontakte nahmen wieder zu und wurden, wie sie es bis zu den Liposuktionen und Krankenhausaufenthalten immer waren, wieder ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.
Außerdem habe ich mein Gewicht bis heute um weitere 20 Kilo reduziert und damit begonnen, ein bisschen ‚Wellness‘ in mein Leben einziehen zu lassen.

Das bedeutet nicht, dass mein Leben seit dieser Zeit nur noch aus rosa Wölkchen besteht und alles perfekt ist. Nach wie vor gibt es Herausforderungen und schwere Momente und manchmal habe ich auch heute noch das Gefühl, dass das Leben einfach nicht fair ist.

Meine Lipödem-Reise ist natürlich nicht abgeschlossen (immerhin handelt es sich beim Lipödem um eine chronische Erkrankung …). 
Gerade erst habe ich es endlich gewagt, neue Wege bei der Kompression zu gehen und etwas auszuprobieren. Ich freue mich schon darauf, wenn ich die Versorgung im neuen Sanitätshaus abholen darf. Zudem schaffe ich es, mich wieder mehr mit dem Lipödem und auch der Endometriose auseinanderzusetzen, Veranstaltungen zu besuchen und Kontakte zu anderen Betroffenen aufzubauen bzw. zu pflegen.


Mir ist es außerdem ein Herzensanliegen, dass über chronische Erkrankungen nicht mehr voller Scham hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Ich wünsche mir, dass die Themen und Menschen mehr Sichtbarkeit erhalten, dass endlich ein guter Umgang in der Öffentlichkeit und dem Alltag einkehrt und sich niemand mehr schämen oder schuldig fühlen muss. Aus diesem Grund habe ich gerade erst das Instagram Profil chronisch sichtbar ins Leben gerufen, nach dem Motto: „Wenn ich mit dieser Seite auch nur einem Menschen ein bisschen Mut machen kann, dann hat sich das schon gelohnt.“

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