Hallo, mein Name ist Tanja, ich bin 50 Jahre und möchte hier auch meine Geschichte erzählen.
Schon als Kind war ich übergewichtig bzw. unterlag großen Gewichtsschwankungen. Die Ursachen waren wie so oft psychischer Natur und ich entwickelte in Folge schon in jungen Jahren Essstörungen. Was allerdings damals schon auffiel, auch in den schlankeren Phasen waren meine Unterschenkel eher Stempel und man konnte weder Fessel noch Achillessehne erkennen.
Bis zu meinem 27. Lebensjahr nahm ich immer mehr zu, schob dies auf mein Essverhalten und sämtliche Schmerzen und Schwächen halt auf die Adipositas. Ich wog zu Höchstzeiten fast drei Zentner!
Dann fand ein tiefer Einschnitt in meinem Leben statt, der dazu führte, dass ich eine Ausbildung als Physiotherapeutin begann. Im Zuge dessen erfuhr ich natürlich auch etwas über das Lipödem, wenn auch nur am Rande. Auf die Idee, dass ich selber betroffen sein könnte, kam ich nicht, denn es zeigten sich ja noch keine typischen Symptome.
2004 machte ich meine Weiterbildung zur Lymphtherapeutin. Mittlerweile litt ich trotz Gewichtsabnahme an starker Schwellneigung der Beine und bekam oft blaue Flecke. Der Ausbilder meinte dann, ich hätte eine Hyperlipotrophierung, also eine Zunahme des Unterhautfettgewebes, aber tatsächlich machte ich mir nicht weiter Gedanken darüber.
2005 erreichte ich mein Höchstgewicht von 147 kg. Es musste etwas passieren. Ich nahm ab, sehr viel und sehr schnell. Ich war stolz wie Oskar, denn innerhalb von anderthalb Jahren kam ich auf 79 kg. Ja, ihr lest richtig. Natürlich war das viel zu schnell und vor allem ungesund! Ich aß fast nichts und trieb täglich stundenlang Sport. Das Ergebnis wirkte super, ich bekam viel Bestätigung von außen, aber meinem Körper tat ich keinen Gefallen. Rückblickend begann kurz danach mein Lipödem sich richtig zu zeigen, erst mal nur durch erneute Zunahme.
Doch trotz der fachlichen Ausbildung nahm ich es immer noch auf die leichte Schulter, forschte nicht näher nach. Ich hatte ja keine Schmerzen und meine Beweglichkeit war besser als zuvor. Gegen die Schwellungen und die schweren Beine trug ich Stützstrümpfe, trieb Sport und schob erneute Gewichtsschwankungen und Zunahme auf mein Essverhalten, das wirklich nicht gesund war. Auch die Sportbegeisterung ließ nach. Jo-Jo-Effekt – typisch. Warum sollte es was anderes sein? Klar, dass dann die Schmerzen in den Beinen auch wieder zunahmen. Und dass Hosen an Oberschenkel und Hintern stramm saßen, aber an der Taille zu weit waren – nun, hab halt eine komische Figur, redete ich mir ein.
2016 hatte ich auf einmal so starke Schmerzen in der Wade, dass ich mit Verdacht auf Thrombose in der Notaufnahme landete. Da das betroffene rechte Bein dicker war als das linke (war bei mir schon immer so) und der D-Dimer-Wert deutlich erhöht war, schien die Diagnose bestätigt. Beim Ultraschall zeigte sich aber: Die Venen waren zum Glück in Top-Zustand, der Chefarzt der Angiologie wies mich jedoch dringend an, etwas gegen mein Lipödem zu unternehmen. Das hatte gesessen. Denn was ich bewusst die ganzen Jahre verdrängt hatte, hatte mein Unterbewusstsein wahrscheinlich längst erkannt. Es aber vom Facharzt so direkt ausgesprochen zu bekommen, ist dann doch nochmal etwas anderes.
Ich musste vier Monate auf einen Termin beim Spezialisten in der Hautklinik warten, aber zum ersten Mal bei einem Arztbesuch (egal weswegen) hörte ich nicht als Erstes die Worte ‚Bewegen Sie sich und reduzieren Sie Gewicht‘ oder ähnliches. Dieser Arzt nahm sich Zeit und untersuchte mich gründlich. Fazit: Lipödem Stadium II. Es erfolgte eine ausgiebige Therapieberatung und ich erhielt tatsächlich auch schon Informationen über eine Liposuktion. Aber das war für mich damals noch kein Thema.
Ich begann mit Lymphdrainage, einmal die Woche, und erhielt Flachstrickkompression nach Maß. Gleichzeitig begann ich mit einem diesmal überlegten Sportprogramm. Schon nach den ersten Wochen zeigten sich Erfolge in Form von Umfang, Abnahme und sogar die Schmerzen ließen spürbar nach.
Die Hautklinik übernahm die konservative Behandlung nur für ein paar Monate. Seitdem bin ich bei meinem ansässigen Hautarzt in guten Händen. Lange Zeit hatte ich das Lipödem mit konsequenter Kompression, wöchentlicher Lymphdrainage und Sport in Form von ausgiebigem Schwimmen und Radfahren gut im Griff, die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Die Kompressionsstrumpfhose trug und trage ich wirklich konsequent, das heißt mit ganz wenigen Ausnahmen täglich, von morgens bis abends, egal bei welcher Gelegenheit und welchem Wetter. Ich habe mich tatsächlich von Anfang an mit meiner Strumpfhose wohlgefühlt. Eine OP kam da noch nicht für mich infrage. Abgesehen von den Kosten und der Sorge um die Arbeitsfähigkeit hielt mich mein noch einigermaßen guter Zustand davon ab.
Das änderte sich im Dezember 2019 nach einem Fahrradsturz, der zu einem heftigen Lip-Schub führte. Insgesamt beobachtete ich, dass körperliche Traumen, egal wie klein sie auch waren, sich negativ auf mein Lipödem auswirkten, auch wenn ich den Zusammenhang nicht genau erklären kann. Schon zuvor konnte ich die Gewichtszunahme nicht mehr aufhalten, trotz viel Bewegung. Es folgten im Jahr 2020 mehrere starke Schübe, ausgelöst durch Stürze, Tetanusimpfung, Stress etc. Aufgrund von Corona fiel auch das Schwimmen weg, was sehr viel ausmachte, fehlt doch Bewegung und die Lymphflussanregende Wirkung des Wassers. Ich legte in kürzester Zeit nochmal über 20 kg zu, meine Beweglichkeit nahm immer mehr ab, die Schmerzen dafür immer mehr zu.
Nach einem Sturz im September 2020 waren die Schmerzen dann so stark, dass ich zum Einschlafen Tilidin nahm. Treppen gehen, vor allem runter, wurde zur Qual, selbst Radfahren war kaum noch möglich. So konnte es nicht weitergehen. Inzwischen zog ich eine OP in Erwägung.
Nach einigen Recherchen und aufgrund einer Empfehlung vereinbarte ich einen Beratungstermin bei einem Lipödem-Experten in einer Klinik in der Nähe. Ich fühlte mich sofort gut aufgehoben und mein Entschluss stand fest. Ich kratzte meine Ersparnisse zusammen und fand auch finanzielle Unterstützung bei meinem Mann. Dafür bin ich ihm sehr dankbar! Ein Antrag auf Kostenübernahme durch die Kasse scheiterte im Widerspruch.
So fanden 2021 zwei Liposuktionen im Abstand von fünf Monaten statt – erst Beininnenseiten, dann Beinaußenseiten. Mit einem solchen überwältigendem Erfolg hatte ich nicht gerechnet: Die Schmerzen sind bis heute nahezu verschwunden und ich kann mich wieder wie ein normaler Mensch bewegen! Tatsächlich konnte ich schon zwei Tage nach der ersten OP besser Treppen laufen als im ganzen Jahr davor. Ich habe meine Ernährung umgestellt auf wenig Kohlenhydrate und viel Protein, vor allem letzteres bekommt meinem Körper sehr gut. Zusätzlich war mein Stoffwechsel endlich in der Lage, auf Bewegung und Ernährung normal zu reagieren. Zum Schwimmen und Radfahren ist inzwischen Kraftsport hinzugekommen. Auf diese Weise konnte ich mein Gewicht enorm reduzieren, um ganze 40 kg!
Die Arme waren bis dahin zwar auch schon betroffen, aber noch weitestgehend beschwerdefrei. So dachte ich, ich komme da um die Operation herum. Aber wenige Monate später schrien sie förmlich nach Kompression, Arbeiten über Kopf oder mit den Armen nach vorne gestreckt fielen zunehmend schwerer. Ich wollte es nicht so weit kommen lassen wie bei den Beinen und machte einen OP-Termin für Sommer 2022 aus. Eine gute Entscheidung, denn bis dahin konnte ich kaum noch ein Telefon am Ohr halten u.ä. Natürlich wirkten sich die Einschränkungen auch auf meinen Beruf aus.
Auch wenn die Arme etwas mehr Heilzeit in Anspruch nahmen als die Beine. Ich bin überglücklich, mich für die Liposuktionen entschieden zu haben. Ich führe jetzt ein nahezu schmerzfreies, aktives Leben. Geblieben ist ein leichtes Lymphödem, ich gehe weiterhin wöchentlich zur Lymphdrainage und trage weiterhin konsequent meine Kompression. Doch meine Lebensqualität ist extrem gestiegen, sind doch jetzt so viele Dinge wieder möglich, die vorher nicht gingen.
Bei allen OPs hatte ich übrigens noch wenige Stunden vorher eine Lymphdrainage gehabt und über Nacht meine Kompressionsstrümpfe angelassen, damit das Gewebe entstaut und damit auch weicher war. Das macht es auch den Ärzten leichter, wenn das Gewebe nicht prall und geschwollen ist und es kann die Tumeszenzlösung besser aufnehmen.
Meine Ziele für die Zukunft sind, mich beruflich auf Lipödem zu fokussieren und wer weiß, vielleicht auch irgendwann zu spezialisieren, meine Patientinnen auch über die Lymphdrainage hinaus auf ihrem Weg zu begleiten und mich für mehr Aufklärung und Information über das Thema Lipödem einzusetzen.
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