Jana Crämer über ihre Essstörung und die Diagnose Lip- und Lymphödem

„Ich versuche heute die Person zu sein, die ich damals gebraucht hätte – und anderen Betroffenen zu helfen!“

Übergewicht, Essstörungen, Selbstzweifel – das war Jana Crämers Leben noch bis vor einigen Jahren. Heute ist die 41-Jährige glücklich und erfolgreich: als Autorin, Social Media Star, Testimonial des Medizinprodukte-Herstellers medi und vor allem als Vorbild für andere. Mit ihrem besten Freund, dem Musiker Batomae, geht sie regelmäßig auf Konzert-Lesereisen im Rahmen der „Initiative BKK bauchgefühl“ und besucht Schulen in ganz Deutschland, um über Essstörungen und Mobbing aufzuklären. Im Interview berichtet sie über ihr Single-Dasein, ihr Übergewicht und ihre Diagnose Lip- und Lymphödem.

Liebe Frau Crämer, in Ihrem Buch „Jana, 39, ungeküsst“ beschreiben Sie, als Sie zum ersten Mal mit Ihrem Körpergewicht konfrontiert wurden: als Neunjährige auf dem Kindergeburtstag einer Klassenkameradin. Wie einschneidend war das Erlebnis für Sie?

„Zuerst war ich verwirrt, dann unendlich traurig – es war wie ein Stich mitten ins Herz! Die Mutter meiner Freundin hatte ihr ein zweites Stück Kuchen verboten und dabei auf mich und meinen Bauch gezeigt – so sollten Mädchen meines Alters ihrer Meinung nach nicht aussehen. Bis dato war mir nicht bewusst, dass mein Körper, anders‘, fülliger war. Zu Hause durfte ich immer ein zweites Stück Kuchen essen, meine Oma war sogar beleidigt, wenn ich nur eines wollte. Meine Familie hat mich und mein Aussehen nie bewertet. Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig geprägt – und meine Körperwahrnehmung negativ beeinflusst!“

Wie bewerten Sie heute den Kommentar der Mutter?

„Ihr Verhalten sagt mehr über sie aus als über mich. In den Jahren danach war ich aufgrund meines Übergewichts leider täglich Mobbing-Attacken und Beleidigungen meiner Mitmenschen ausgesetzt. Durch das Schreiben habe ich mit diesen Erlebnissen Frieden geschlossen und Heilung gefunden. Heute habe ich eine andere Sicht auf die Vorfälle der Vergangenheit: Menschen, die mobben, laden oft ihren Frust bei einer anderen Person ab, um sich besser zu fühlen, wollen Unsicherheiten überspielen oder von einer bestimmten Gruppe anerkannt werden. Sie diskriminieren vermeintlich Schwächere, um selbst größer zu wirken. Rückblickend bin ich dankbar, all das erlebt zu haben – sonst wäre ich heute nicht die Jana, die ich bin, und könnte andere Menschen nicht auf ihrem Weg ermutigen. Ich versuche die Person zu sein, die ich damals gebraucht hätte.“

In Ihrem Buch berichten Sie schonungslos über Ihre Erfahrungen und Ihre Krankengeschichte. Was hat Sie dazu bewogen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?

„Vor allem ein Mensch hat mich stark in meiner Entwicklung beeinflusst: mein bester Freund Batomae. Noch vor über zehn Jahren war ich sehr in mich gekehrt und habe permanent gearbeitet – ich wollte der Norm entsprechen und angepasst sein. Als Musikmanagerin der deutschen Band, Luxuslärm’ führte ich ein Doppelleben: In Anwesenheit anderer habe ich mich gesund ernährt und nur wenig gegessen – kaum war ich allein, habe ich maßlos Essen in mich hineingestopft, um den Druck auszugleichen, den ich in meinem Leben verspürte. Ich hatte eine Binge-Eating-Störung und wog zu meinen Höchstzeiten 180 Kilogramm. Als Batomae zur Band kam, entwickelte sich langsam eine Freundschaft. Er bemerkte schnell die Diskrepanz zwischen meinem öffentlichen Essverhalten und meinem Gewicht. Anfangs habe ich seine besorgten Fragen abgeblockt, mich ihm dann aber per E-Mail anvertraut. Das war der erste Schritt meiner Reise zu einem gesünderen Ich.“

Sie haben erwähnt, dass Sie früher immer versucht haben, anderen zu gefallen. Woher kommt das?

„In meiner Kindheit bin ich vollkommen frei ohne Regeln erzogen worden – lediglich andere Menschen zu verletzen, war tabu. Doch klare Regeln geben Struktur und Halt – das hat mir gefehlt. Ich war unsicher und habe permanent versucht, in anderen Menschen zu lesen: Übertrete ich hier gerade ihre persönliche Grenze? Ist es richtig, was ich tue?‘“

Wie haben Ihre Eltern auf Ihr Buch reagiert?

„Mein Vater ist bereits 2008 verstorben. Aber ich bin sicher, er wäre sehr stolz auf mich, ebenso wie meine Mutter es ist. Nach der ersten Lektüre war sie sehr berührt, aber auch traurig, auf diese Weise von bestimmten, belastenden Erlebnissen in meinem Leben erfahren zu haben. Eltern investieren viel Zeit, Liebe und Energie in die Erziehung ihrer Kinder, in die Wahl des richtigen Kindergartens oder Schule – und andere Menschen machen dies mit ihrem Verhalten oder Worten zunichte. Die Erkenntnis, man kann seine Kinder nicht immer vor dem Leben beschützen, kann niederschmetternd sein.“

Wie ist heute Ihr Verhältnis zum Essen?

„Ich beschäftige mich nach wie vor sehr intensiv mit dem Thema und poste beispielsweise auf Social Media alles, was ich zu mir nehme. Früher habe ich in Stresssituationen körperliche Reaktionen auf Essen gezeigt, beispielsweise haben meine Hände unkontrolliert gezittert – heute zelebriere ich Essen und habe ein gesundes Gleichgewicht gefunden. Meine Auftritte in Schulen, meine Social-Media-Aktivitäten, die Gespräche mit meinem Umfeld oder meinem Therapeuten, all das hat mir geholfen, besser mit der Erkrankung umzugehen. Ich schäme mich für nichts mehr! Ich habe sogar Nacktfotos von mir online gestellt.“

Wie waren die Reaktionen darauf?

„Ich hatte vorher rund 100 Kilogramm abgenommen und wollte zeigen, wie mein Körper durch die Crash-Diäten der letzten Jahre gelitten hatte. Die Fotos haben sich im Netz schnell verbreitet – das Medieninteresse war groß. Die Reaktionen entsprechend gemischt: Ich bekam viel Zuspruch, aber auch zweideutige und verletzende Kommentare, unter anderem auch zu meinem Single-Dasein.“

Weil Sie noch nie in einer Beziehung waren oder jemanden geküsst haben?

„Viele können nicht nachvollziehen, dass ich nichts vermisse. Ich bin gerne mit Freunden unterwegs, aber genieße ebenso die Zeit, wenn ich allein bin und beispielsweise abends über meinen Tag nachdenke. Dies bereichert mein Leben ungemein und ich brauche diese Me-Time. Die wenigsten Menschen verstehen den Unterschied zwischen allein und einsam sein. Ich schließe eine Beziehung nicht aus, aber bin nicht aktiv auf der Suche. Ich bin glücklich mit meinem Leben!“

Seit 2016 besuchen Sie mit Ihrem besten Freund Batomae bundesweit bis zu 50 Schulen pro Jahr, um von Ihren persönlichen Erfahrungen zu erzählen.

„Das Projekt, bauchgefühl‘ wurde von den Betriebskrankenkassen ins Leben gerufen, um Jugendliche zum Thema Essstörung zu sensibilisieren und dem Voranschreiten der Krankheit entgegenzuwirken. Wir wollen damit junge Erwachsene ermutigen, sich selbst so anzunehmen, wie sie sind, und sich für andere stark zu machen – niemanden zu mobben oder aufgrund seines Aussehens auszugrenzen. Es geht um Selbstwertgefühl, Selbstliebe, Ernährung – alles, was wir Menschen brauchen, um unser Bauchgefühl nicht zu überhören. Ich bin immer sehr bewegt, wenn Jugendliche ihre Erfahrungen teilen, ins Gespräch kommen und mich als Vorbild ansehen. Mittlerweile haben wir schon rund 350.000 Schüler im Rahmen des Programms besucht.“

Sie haben im Jahr 2020 die Diagnose Lip- und Lymphödem bekommen. Welchen Stellenwert hat die chronische Erkrankung für Sie?

„Keinen! Natürlich war ich kurz geschockt, als ich die Diagnose erhalten habe. Aber dann vor allem froh, eine Erklärung zu haben – für mein Aussehen, meine Schmerzen in den Beinen, das verhärtete Gewebe, die blauen Flecken. Ab diesem Moment habe ich die Erkrankung komplett angenommen. Ich hatte immer das Gefühl, mein Körper wäre falsch zusammengesetzt: Mein Oberköper passte nicht zu meinem breiten Hintern und den unförmigen Beinen. Zwar ist es möglich, mit einem Lipödem abzunehmen – das Lipödem selbst aber bleibt, da es sich hier nicht um Übergewicht im klassischen Sinn handelt, sondern um eine krankhafte Fettverteilungsstörung.“

Welche Therapie hilft Ihnen, im Alltag mit der Erkrankung gut umzugehen?

„Bislang ist es lediglich möglich, die Symptome zu behandeln. Seitdem ich meine maßgefertigte, flachgestrickte medizinische Kompressionsstrumpfhose von medi trage, habe ich kaum noch Schmerzen und fühle mich insgesamt besser. Mein absoluter Game-Changer ist die Kniefunktionszone. Außerdem gibt es seit Oktober alternativ die seitliche Naht beim mediven cosy – unglaublich angenehm in der Kniekehle zu tragen und optisch kaum von einer Leggings zu unterscheiden. Wichtig für eine gutsitzende, individuelle medizinische Versorgung ist eine optimale Beratung im Sanitätshaus. Aber auch die Tipps der Community sind für mich ungeheuer wertvoll. Zusätzlich zur medizinischen Kompression hilft mir regelmäßige manuelle Lymphdrainage, meine Beschwerden zu lindern.“

2020 wurde bei Ihnen auch „Multiple Sklerose“ diagnostiziert, eine entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, die das Gehirn und Rückenmark angreift. Was ist Ihnen dabei durch den Kopf gegangen?

„Ich dachte, Auch das noch? Warum ist das Schicksal so unfair? Hatte ich nicht schon genug leiden müssen? Weshalb jetzt noch die nächste unheilbare Krankheit?‘ Als der Oberarzt mir im Krankenhaus nach ausführlicher Untersuchung die Diagnose verkündete, hatte ich Angst, dass mir mein Leben erneut entgleitet.“

Wie hat sich die Krankheit bei Ihnen bemerkbar gemacht?

„Ich habe plötzlich nur noch Graustufen und alles verschwommen gesehen. Anfangs dachte ich, es wäre eine Augenentzündung oder Ähnliches, aber es wurde immer schlimmer. Zudem hat mein ganzer Körper gekribbelt – ich hatte das Gefühl in einem Ameisenhaufen zu liegen oder leichte Stromstöße verpasst zu bekommen. Multiple Sklerose wird nicht umsonst ,die Krankheit der 1000 Gesichter‘ genannt – die Symptome können jeden Tag andere sein: Missempfinden, Kribbeln, Taubheitsgefühle, Lähmungs-erscheinungen, Tinnitus, Konzentrationsschwierigkeiten, Sehstörungen. Als Basistherapie nehme ich Tabletten, um meine Immunreaktionen gezielt so zu verändern oder zu unterdrücken, dass keine neuen Entzündungsherde entstehen. Bei einem akuten Schub bekomme ich fünf Tage lang intravenös entzündungshemmende Medikamente wie Cortison.“

Wie schaffen Sie es, so optimistisch und lebensfroh zu bleiben?

„Ich versuche, auch mit dieser Krankheit meinen Frieden zu schließen und mich davon nicht kleinkriegen zu lassen. Ich habe gelernt, dass ich Kontrolle abgeben darf und Veränderungen dazu gehören. Ich darf vertrauen, dass alles gut wird. Seit der Diagnose bin ich noch dankbarer für die schönen Momente in meinem Leben und blicke jedem einzelnen Tag liebe- und hoffnungsvoll entgegen.“

Herzlichen Dank für Ihre offenen Worte!

medi – ich fühl mich besser. Für das Unternehmen medi leisten am Standort Bayreuth rund 1.800 Mitarbeitende (weltweit rund 3.000) einen maßgeblichen Beitrag, dass Menschen sich besser fühlen. Das Ziel ist es, Anwender:innen und Patient:innen maximale Therapieerfolge im medizinischen Bereich (medi Medical) und darüber hinaus ein einzigartiges Körpergefühl im Sport- und Fashion-Segment (CEP und ITEM m6) zu ermöglichen. Die Leistungspalette von medi Medical umfasst medizinische Kompressionsstrümpfe, adaptive Kompressionsversorgungen, Bandagen, Orthesen, Thromboseprophylaxestrümpfe, Kompressionsbekleidung, orthopädische Einlagen und digitale Gesundheitslösungen. Zudem fließt die langjährige Erfahrung im Bereich der Kompressionstechnologie auch in die Entwicklung von Sport- und Fashion-Produkten mit ein. Der Grundstein für das international erfolgreiche Unternehmen wurde 1951 in Bayreuth gelegt. Heute liefert medi mit einem Netzwerk aus Distributoren sowie eigenen Niederlassungen in über 90 Länder der Welt. www.medi.de, www.item-m6.com, www.cepsports.com

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